Ich stehe heute hier für die ungefähr 3.000 Hamburger Juden, die es inzwischen in Hamburg wieder gibt. Ich stehe aber auch hier als jemand, der seine Großeltern, seinen Onkel und viele andere Angehörige im Holocaust verloren hat. Die deutsche Bahn hat ihren Beitrag dazu geleistet. Die Hamburger jüdische Gemeinde war die zweitgrößte in Deutschland - bis zum Beginn der Nazi-Zeit. Wir hatten hier ungefähr 24.000 Juden in dieser Stadt. Das Totenbuch, das das Staatsarchiv vor einigen Jahren heraus gebracht hat, verzeichnet 8.000 Namen - über achttausend Namen - von Juden, die aus Hamburg stammen oder in Hamburg als Juden den Tod gefunden haben.
Der Beitrag der Deutschen Reichsbahn zum Holocaust ist ein sehr erheblicher...Wenn ich an die Deportationszüge denke, denke ich vor allem an zwei Züge: einer ging von Hamburg aus, der andere ging von Hagen aus. Der Hamburger Zug ist der vom 19. Juli 1942. Er rollte direkt nach Theresienstadt. In ihm saßen 76 Kinder, die in Hamburg noch als Juden Schulunterricht erhielten. Zum Zeitpunkt der Deportation waren sie allerdings keine Schüler mehr, denn am 30. Juni 1942, wenige Wochen vor dieser Deportation, durfte in ganz Deutschland kein jüdisches Kind mehr Schulunterricht erhalten...
Der andere Zug, an den ich denke, ist ein Zug, der am 2. März 1943 - also vor fast genau 65 Jahren - die Stadt Hagen in Westfalen verlassen hat. Es war ein kalter Tag, so wie heute - mindestens - und meine Großeltern, Leopold Laser und Else-Eva und mein Onkel - er war gerade 17 Jahre alt geworden - Heinz-Egon Günter, waren in diesen Zug gepfercht worden. Er hatte einen Bestimmungsort, den erreichte er nach mehreren Tagen. Dieser Ort hieß Auschwitz. Auf der Liste, die - sorgfältig geführt natürlich - dokumentarisch erhalten ist, sind alle Namen verzeichnet. Als Insassen des Zuges. Auf der Liste, die in Auschwitz geführt wurde - wo alle diejenigen erfasst wurden, die als Arbeitssklaven am Leben gelassen wurden - tauchen ihre Namen nicht auf und das bedeutet für jeden, der weiß, was geschehen ist: Sie sind entweder unmittelbar nach der Ankunft ermordet worden - und zwar entweder im Krematorium II (links der Rampe) oder im Krematorium III (rechts der Rampe) - in Auschwitz - oder aber - und das weiß ich bis heute nicht - sie haben die Fahrt gar nicht überlebt und sind schon als Tote in Auschwitz angekommen...
Die Deutsche Reichsbahn war in diese Dinge organisatorisch intensiv eingeb unden. Der Cheforganisator all dieser Transporte trägt einen bekannten Namen: Das war Adolf Eichmann, der im Reichssicherheitshauptamt zuständig war für die Organisation und Abläufe sämtlicher Transporte. Es musste reibungslos laufen...
Dass die Deutsche Bahn AG heute, im März 2008 in Hamburg und auch an anderen Orten, den "Zug der Erinnerung" nicht mit offenen Armen begrüßt - dass die Deutsche Bahn AG es nicht für eine Selbstverständlichkeit hält, das Gedenken einer Initiative die sie nicht angestoßen hat - die sich aber mit der Geschichte des Schienenverkehrs in Deutschland beschäftigt - zu unterstützen, das empört mich. Das wundert mich nicht nur. Ich kann es nicht begreifen. Wie groß die Schwierigkeit war, den Zug heute hier - und in den nächsten Tagen - hier stehen zu lassen, wissen nur diejenigen, die sich im Hintergrund darum gekümmert haben. Dass Rechnungen geschrieben werden für einen Kunden "Initiative Zug der Erinnerung" ist für die Deutsche Bahn eine Selbstverständlichkeit. Dass diese Rechnungen hoch sind - sechsstellige Höhe erreichen werden - ist erschreckend. Dass die Deutsche Bahn es nicht als ihre selbstverständliche politisch-moralische Verantwortung empfindet, hier vielleicht auf der einen Seite Rechnungen zu schreiben, auf der anderen Seite aber auch das zu tun, was im Bereich des Sponsoring , ein so großes Unternehmen wie die Deutsche Bahn AG wie selbstverständlich in anderen Bereichen auf die Beine stellen kann...kann ich nicht begreifen.
Und mein Appell an uns heute lautet: Lasst uns nicht vergessen, was geschehen ist. Lasst uns gemeinsam die politisch-moralische Verantwortung dafür tragen, dass die Erinnerung aufrecht erhalten bleibt. Und dieser Appell richtet sich natürlich auch - nicht nur an die politischen Verantwortlichen - sondern auch an die wirtschaftlich Verantwortlichen in diesem Lande...Auch wenn die Deutsche Bahn AG sagt, wir sind nicht Rechtsnachfolger der Bundesbahn und schon gar nicht der Reichsbahn: Das Schienensystem wird genutzt. Die Bahnhöfe sind zum Teil noch die gleichen. Es ist ein Erbe zu verwalten und es ist moralisch anständig zu verwalten! Damit möchte ich schließen. Vielen Dank.