EISENACH - Zur Eröffnung der Ausstellung im Bahnhof von Eisenach hielt Dennis Priester, einer der Zugbegleiter, die folgende Rede:
"Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Vertreter aus der Politik, sehr geehrte Vertreter der evangelischen Kirchengemeinde, liebe Anwesende,
Eisenach ist die 65. Station einer Fahrt, die durch ganz Deutschland führt - nicht nur durch die ehemaligen deutschen Deportationsbahnhöfe, sondern auch durch die gegenwärtigen deutschen Befindlichkeiten.
Inzwischen sind über 230 Tausend Besucher auf die Bahnhöfe gekommen und haben demonstriert, daß sie sich erinnern wollen, daß sie bereit sind, die schmerzlichen Tatsachen anzunehmen: Aus fast jeder deutschen Stadt wurden Kinder und Jugendliche deportiert und in jedem dieser Orte hat es die überwiegende Mehrzahl der Deutschen geschehen lassen.
Es tut weh, uns einzugestehen, daß den Opfern hätte geholfen werden können, daß aber unsere Väter oder Großväter meist weg sahen oder gar mitmordeten.
In Eisenach ist diese klammheimliche Beteiligung an den Vorbereitungen zum Massenmord Gegenstand einer zeitgenössischen Fotoserie...Es sind Szenen, wie sie überall in Deutschland zu sehen waren. Eisenach ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Die an helllichtem Tag durch die Straßen ziehenden Menschen mit ihren Koffern, die Kinder mit ihren Rucksäcken kurz vor dem Abtransport in die "Reichsbahn"-Waggons - das alles gehörte zum deutschen Alltag...
Wie sollen, wie können wir heute dieser Opfer gedenken? Haben wir genug getan? Wie geben wir die Erinnerung an unsere Kinder weiter, zum Beispiel in den Schulen?
An der Außenfassade des Eisenacher Martin-Luther-Gymnasiums wird auf einer Steinplastik an die toten Schüler der Jahre 1939 bis 1945 erinnert. Gemeint sind die gefallenen Jugendlichen, die für die Verteidigung des NS-Regimes starben. Ihnen gebühre ein "Lorbeer", heißt es "in heisser Dankbarkeit". Daß diese Jugendlichen auch Auschwitz verteidigten, wußten sie wahrscheinlich nicht.
Wir wissen heute nicht mehr, wie viele Schüler des Martin-Luther-Gymnasiums freiwillig kämpften und wie viele dazu gezwungen wurden. Einige von ihnen waren nach jahrelangem Dienst in der HJ wahrscheinlich begeisterte Nazis, andere hatten sich vielleicht eine gewisse Distanz zum NS-Regime bewahrt oder lehnten es gar ab. Auf jeden Fall sind diese Opfer des Zweiten Weltkrieges, die für dieses menschenverachtende System starben, zu betrauern.
In der Ausstellung im „Zug der Erinnerung“ werden Biografien ermordeter Kinder und Jugendlicher dargestellt. Sie wurden umgebracht, weil sie den Nationalsozialisten als „nicht lebenswert“ galten. Wir würden uns wünschen, wenn die Erinnerung an diese Opfer auch im Alltag lebendig gehalten würde. In manchen Schulen gibt es bereits Gedenktafeln für die ermordeten Schülerinnen und Schüler. Oder mit den Stolpersteinen, wie sie Gestern in Mittweida verlegt wurden.
Wir bedanken uns bei Ihnen, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, für Ihre großzügige Bereitschaft, den "Zug der Erinnerung" zu unterstützen. Wir danken allen Eisenachern für ihr Engagement."