GIESSEN/GÜTERSLOH - Nach zweitägigem Aufenthalt in Marburg und Giessen hat die Ausstellung Mittelhessen verlassen und ist auf dem Weg nach Gütersloh. Eindrücke auf dem Gießener Bahnhof sammelte die Journalistin Heidrun Helwig. Wir bringen Auszüge ihres Berichts, der am 23. Mai im "Gießener Anzeiger" erschien:
"Die Schrift ist kindlich. Die Buchstaben beinahe gemalt. Nur ihr Alter hat Aline nicht vermerkt. Dafür aber notiert sie selbstbewusst ihre Überzeugung: 'Ich mag Hitler nicht, weil er so viele unschuldige Juden ermordet hat.' Auch Lili Sophie ist vermutlich noch sehr jung. Gleichwohl sind ihre Worte anrührend ernst: 'Was tut man Menschen nur an! Wir sind alle Menschen.' Und Tim aus der '9a' stellt beeindruckt fest: 'Diese Ausstellung ist echt unglaublich!' Im Besucherbuch haben die drei Schüler ihre Empfindungen festgehalten. Nachdem sie im 'Zug der Erinnerung' vom Schicksal etlicher Kinder und Jugendlicher erfahren haben, die von den Nationalsozialisten ganz ohne Grund ermordet wurden. Das rollende Museum hat nämlich am Mittwoch am Gießener Bahnhof Station gemacht.
Inge Katzmann war gerade mal neun Jahre alt, als sie mit ihren Eltern im Dezember 1942 zur Transportsammelstelle in Leipzig befohlen wurde. Eingepfercht mit vielen anderen Kindern, Frauen und Männern in einem Zug der Reichsbahn ging es vom Güterbahnhof aus zunächst nach Theresienstadt, wenige Wochen später weiter nach Auschwitz. 'Von dort kehren weder Inge noch ihre Familie zurück', heißt es auf der Tafel. Inge war ein dunkelhaariges Mädchen. Mit freundlichen, neugierigen Augen schaut die Kleine in die Kamera, ihre Mutter steht hinter ihr. Legt behütend die Hände auf die Schultern ihrer Tochter. Beschützen aber konnte sie Inge nicht.
Graciella Samuel war erst vier Jahre alt, als sie von der griechischen Stadt Ioannina nach Auschwitz deportiert wurde. 'Das letzte Bild' zeigt das niedliche Mädchen im März 1944. Am Abend vor der Fahrt in den Tod. Das kurze Kleidchen mit der Schleife am Kragen hat Graciella sicherlich gefallen, auch die weißen Söckchen und die schwarzen Riemchenschuhe. Ganz still stehen zwei Schülerinnen vor dem großen Foto der Vierjährigen. Und ein junger Vater, der sein Baby im Arm hält, kann die Tränen nicht zurückhalten. 'Wir haben bewusst auf schockierende Fotos verzichtet', sagt Mehmet Can, der zum pädagogischen Begleitpersonal gehört. 'Wir wollen daran erinnern, dass es Kinder und Jugendliche waren, die vernichtet wurden.' Und deshalb zeigen die Aufnahmen die Opfer vor der Deportation: Fröhlich lachend, ausgelassen spielend, stolz die feinen Sonntagskleider zur Schau stellend.
'Natürlich ist das ein eigenwilliger Ort für eine solche Ausstellung', erklärt Can einer Gruppe von Abiturienten der Max-Weber-Schule. Gemeinsam mit ihrem Religionslehrer Frank Pötter besuchen sie am Morgen den Museumszug. ...
Vorgestellt werden auch die Täter: Vom Reichsverkehrsminister, über die SS bis hin zu den Logistikplanern. Gemeinsam sorgten sie für den reibungslosen Transport unschuldiger Menschen in den Tod. Gezeigt werden auch Spezialisten, die ihre Bahnkarriere in der Nachkriegszeit völlig unbehelligt fortsetzen konnten. ..." mehr im Gießener Anzeiger