HAMBURG - Nach einem eintägigen Aufenthalt im Hamburger Hauptbahnhof ist der 'Zug der Erinnerung' am Dienstag nach Altona weiter gefahren. Dort steht er bis zum Wochenende auf Gleis 5 und kann täglich zwischen 9 und 19 Uhr besucht werden. Die Verlegung nach Altona war notwendig geworden, weil die Bahn AG den Hauptbahnhof "aus betrieblichen Gründen" für den Rest der Woche sperrte. Der Hamburger Senat, den die bundesweite Initiative um eine Intervention beim Berliner Bahnvorstand gebeten hatte, vermochte es nicht, die Standzeiten im Hauptbahnhof zu erweitern. In Hamburg sei der Zug "mehr geduldet als willkommen", schreibt das Hamburger Abendblatt.
Trotz der offensichtlichen Behinderungen kamen bereits am ersten Tag des Hamburg-Aufenthalts über 1.200 Besucher in die Zug-Ausstellung. Bei der Eröffnung sprachen u.a. Gabriela Fenyes vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde Hamburg und Zwi Helmut Steinitz aus Tel-Aviv. Die Initiatoren im "Zug der Erinnerung" betonten in ihrem Beitrag, daß sie als Nachfahren der Täter, nicht als Erben der Opfer handeln. Wir bringen Auszüge:
"...Aggressionen gegen Kinder und Jugendliche unterliegen einem kulturellen Tabu. Seit Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte ist unseren Vorfahren bewusst, daß Kinder das Fortleben unserer Art bedeuten, daß sie das, was wir heute Zivilisation nennen, empfangen, weitertragen und daß die Menschheit verloren wäre, müsste sie auf ihre Kinder verzichten...
Der Massenmord an Kindern und Jugendlichen ist ein unverzeihlicher Akt der Barbarei, den wir beklagen, weil er hier, unter uns oder unter unseren Vorfahren stattgefunden hat.
Das Nazi-Regime, das Kinder und Jugendliche deportierte, um sie dem Tod auszuliefern, hat damit die tiefste Quelle seiner tragenden Motive offenbart: den Tod, den Totenkopf, die Vernichtung der menschlichen Zivilisation.
Wenn wir hier von den Tätern sprechen, sprechen wir über uns selbst.
Die, die den 'Zug der Erinnerung' auf den Weg gebracht haben, sind nicht die Nachfahren der Opfer, sondern die Nachfahren der Täter.
Wir bekennen uns zu unserer fortdauernden Verantwortung, wir schämen uns wegen des Schweigens unserer Eltern und Großeltern, wir sind zornig über ihre Tatbeihilfe und wegen ihrer Taten.
Wir sind nicht die anderen, die besseren Deutschen.
Wir wollen uns nicht darauf berufen, daß uns eine jüdische Großmutter vor der Scham über unsere wirklichen Familiengeschichten bewahren könnte.
Wir gehören zu den letzten, die einen antifaschistischen Helden unter ihren Vorfahren suchen, um ihre Herkunft und ihre Verantwortung zu entlasten.
Zu den traurigen Tatsachen gehört es, daß nicht alle Deutschen Mörder waren, aber daß die meisten dazu beitrugen, das Morden zu ermöglichen. Nur wenn wir diese Wahrheit zulassen, ergreift uns das ganze Ausmaß der Verbrechen und die ganze Verantwortung, die wir dafür tragen, ob wir wollen oder nicht.
Unsere Eltern, Großeltern und Urgroßeltern hätten die Kinder schützen, vielleicht hätten sie sie retten können. Es tut uns weh, diese Schuld bekennen zu müssen.
Es schmerzt, daß es unter uns Vertreter prominenter Institutionen gibt, deren Ignoranz und Zynismus der individuellen Schuld aus dem Wege gehen, um die gegenwärtige Verantwortung, die politische Verantwortung, nicht annehmen zu müssen!
Erinnern wir uns, um die Kinder und Jugendlichen lebendig werden zu lassen, zumindest auf den Fotos und Dokumenten, die von ihnen geblieben sind. Ihr Lachen, ihre Freude ist die Botschaft des Lebens, die wir gegen rechtsextremistische Angriffe verteidigen müssen..."