Herbert Shenkman wurde nach Theresienstadt, Auschwitz und Buchenwald verschleppt:
"Ich bin 1933 in die damalige Mittelschule Altenhagen gekommen. Zu diesem Zeitpunkt wurden jüdische Schüler bereits diskriminiert. Nur weil mein Vater Kriesgteilnehmer im Ersten Weltkrieg war, wurde ich aufgenommen. 1938 folge der Ausschluss vom Schulunterricht. Notgedrungen ging ich nach Köln, in eine jüdische Vorlehre, die auf die Emigration vorbereiten sollte. Angeboten wurden Ausbildungen in praktischen Berufen. Mein Fach war die Schlosserei. Nach einem Jahr wurde auch dieser Ausweg verstellt. Ich wurde in einem Hagener Bauunternehmen zwangsverpflichtet, als Hilfsarbeiter, mit dem niedrigsten Lohn.
Ich erinnere mich an meinen Vorarbeiter, der 1939 am sogenannten Polen-Feldzug teilnahm, am Überfall auf Polen, und der dann wieder zurück kam und von seinen Erlebnissen erzählte. Er war ein früherer Kommunist und jetzt ein begeisterter Anhänger des Systems. In Polen habe man den Juden die Barthaare ausgerissen, prahlte er vor mir.
Im Juni 1942 wurden meine Großeltern zu Deportation befohlen. Meine Mutter entschied, daß die gebrechlichen Alten nicht allein gelassen werden sollten und schloss sich der Deportation freiwillig an. Das galt auch für mich. Ich war 19.
Wir verliessen Hagen und Dortmund mit dem Transport Nr. X1 am 30. Juli 1942. Über 1.100 Menschen waren im Zug. Wieviele den Transport mit der 'Deutschen Reichsbahn' nicht überlebten, weiß ich nicht. Auf Theresienstadt folgte die Deportation nach Auschwitz, wieder mit der Bahn. Ich kam nach Auschwitz-Birkenau und behauptete bei der Selektion, ich wäre als Fräser und Dreher ausgebildet. Vielleicht rettete mir diese Lüge das Leben. Tatsächlich wurden Facharbeiter gesucht, die an der Heimatfront deutsche Soldaten ersetzen sollten. Also kam ich in ein Außenlager des KZ Buchenwald. Dort mussten wir Bauteile für die Panzerfaust produzieren.
Als die Front näher rückte, im Frühjahr 1945, wurden Häftlinge in Viehwaggons Richtung tschechischer Grenze deportiert. Es gelang mir zu fliehen und ich wurde von tschechischen Zivilisten aufgenommen. Unmittelbar nach der Befreiung, im April oder Mai 1945, fand ich meine Mutter wieder. Die Großeltern waren ermordet worden.
Wir erlebten die ersten Nachkriegsmonate im bayrischen Deggendorf, in einem Camp für "displaced persons". Eine Rückkehr an die alten Orte unseres vergangenen Lebens schien uns unmöglich. Meine Mutter ging nach Großbritannien, ich in die USA.
1960 bin ich das erste Mal wieder in Deutschland gewesen, in meiner Heimatstadt Hagen. Ich musste ins Rathaus, wo Fotos der früheren Oberbürgermeister hingen. Das Foto des NS-Oberbürgermeisters fehlte und ich wurde gefragt, ob das nicht bedauerlich sei. Der NS-Funktionär war für die Deportationen verantwortlich gewesen, für das Schicksal all derer, die nie mehr zurückkehrten. Und dann diese Frage an mich! Ich hatte den Eindruck, in ein Nazi-Nest zu kommen...Inzwischen lebe ich wieder in Deutschland und mein Eindruck von Hagen hat sich geändert. Aber wie sich die Bahn AG verhält und das Verkehrsministerium, das tut erneut weh, das ist bedrückend."