BERLIN - Die Umstände des bevorstehenden Gedenkens an die aus Berlin deportierten Kinder und Jugendlichen lösen in der deutschen Hauptstadt, aber auch bundesweit, Bestürzung aus. Die Deutsche Bahn AG will verhindern, daß der "Zug der Erinnerung" auf dem Berliner Hauptbahnhof und an der Gedenkstätte "Gleis 17" (Berlin-Grunewald) halten kann. Auch weitere Stationen, so der Bahnhof Berlin-Schöneweide, sollen für die mobile Ausstellung über NS-Deportationen mit der "Reichsbahn" gesperrt werden. Das einzig zugesicherte Abstellgleis befindet sich in einer Industrieanlage. Das Gleis wurde düem "Zug der Erinnerung" von einem privaten Eigentümer zur Verfügung gestellt. "Wir sind beschämt, daß das Gedenken an die 4.646 deportierten Kinder aus Berlin in einer Atmosphäre des Boykotts, der Ignoranz und der Feindseligkeiten stattfinden soll. Wir rufen alle Menschen guten Willens, insbesondere die in der Deutschen Bahn AG Verantwortlichen, zur Besinnung auf, um die Opfer gemeinsam zu ehren", heißt es in einer Stellungnahme der bundesweiten Initiatoren. "Mit Trauer und Empörung nehmen wir zur Kenntnis, daß die Nachfahren der Täter, zu denen auch wir gehören, das volle Ausmaß ihrer Verantwortung noch immer nicht begreifen wollen."
In zahlreichen Stellungnahmen wird von der Bahn AG ein Ende des Boykotts gefordert, der den "Zug der Erinnerung" seit Fahrtbeginn begleitet. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), schreibt in einer Presseerklärung vom Freitag (4. April): „In der deutschen Hauptstadt ist der Holocaust erdacht und geplant worden. Die Juden Berlins sind von den Nationalsozialisten systematisch in die Vernichtungslager gebracht worden, und zwar mit der Eisenbahn." Deshalb müsse es "gerade in Berlin" möglich sein, den "Zug der Erinnerung" am Hauptbahnhof zu empfangen.
Die orthodoxe jüdische Gemeinde "Adass Jisroel Berlin" erklärte am Vorabend des Shabbat: "Als die Kriegsfront näher heran rückte, als die allierten Bomber Europas Himmel Tag und Nacht bereits kontrollierten, haben Beamte, Angestellte und Arbeiter der Reichsbahn pflichtbewusst unter Einsatz ihres Lebens alles dafür gegeben, auch die letzten alten und kranken Juden, die Frauen und Kinder aus Budapest und Berlin in die Vernichtung zu fahren. In Maidanek, Treblinka und Ausschwitz wurden sie ausgeladen und vergast. Ohne die penible und engagierte Organisation und Durchführung der Todeszüge durch die Deutsche Reichsbahn bis zum Frühjahr 1945 wären vom deutschen Staat nicht 6 Millionen Juden ermordet worden." Die Stellungnahme endet mit einer Aufforderung an den Vorstandsvorsitzenden der Bahn AG: "(L)assen Sie bitte den 'Zug der Erinnerung' in den Berliner Hauptbahnhof und in den Bahnhof Berlin-Grunewald. Lassen Sie diese kleine, leise, bescheidene Trauerbezeugung und Ehrung der Opfer zu... Es darf nicht sein, dass nach dem Mord auch noch die Verhöhnung folgt."
Für die Berliner Jusos erklärt ihr Vorsitzender Sven Heinemann, man werde "Widerstand gegen das Vorgehen der Bahn organisieren". Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Renate Künast, fordert von der Bahn AG "die Verpflichtung" ein, in Deutschland "Erinnerungsarbeit zu ermöglichen". Das Vorgehen der Bahnspitze sei "perfide, hämisch, zynisch". Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Die Linke) verlangt, "dem Zug der Erinnerung endliche freie Bahn zu gewähren."Ähnliche Aufrufe verbreitet die Landesarbeitsgemeinschaft Gedenkstätten Baden-Württemberg und die Lagergemeinschaft Auschwitz. Dort heißt es in einem Appell an den Vorstandsvorsitzenden der Bahn AG: "Lassen Sie die Initiative 'Zug der Erinnerung' die Gleise und Bahnhöfe kostenfrei nutzen. Jeder Tag Ihrer Weigerung gerät Ihnen zu einem Tag der Schande und der Respektlosigkeit gegenüber den Opfern. Es muss Sie nicht wundern, wenn Sie inzwischen mit Helfershelfern der Nazis verglichen werden." Bitte lesen Sie auch die Medienberichte.