DÜSSELDORF - Der größte Landesverband des DGB übernimmt die Schirmherrschaft für den "Zug der Erinnerung", wenn er im kommenden Februar durch Nordrhein-Westfalen fährt. Dies ist das Ergebnis eines Koordinationstreffens, das am 28. November in Düsseldorf stattfand. Vertreten war die DGB-Jugend aus 7 Regionen, die sich über die bisherigen Ergebnisse des bundesweiten Gedenkens informierte und Vorbereitungen für die Ankunft des Zuges in ihren jeweiligen Städten treffen will.
In Dortmund und Siegen hat die praktische Arbeit bereits begonnen. Dort nehmen die Koordinatoren Kontakt mit den örtlichen Schulen auf und regen Projekte zur Spurensuche an. Bürgerinitiativen und andere gesellschaftliche Organisationen werden eingeladen, ein Begleitprogramm zu entwerfen. Ziel ist eine möglichst umfassenden Breite des Gedenkens. "Unsere Erinnerung ist auch in NRW nicht rückwärts gewandt", sagt Ute Schilde, die in Dortmund zu den Initiatoren gehört. "Mit Blick auf die Opfer der Vergangenheit soll der Zug in der Gegenwart helfen, gegen Antisemitismus, Fremdenhass und nationalen Größenwahn zusammenzustehen".
Im Rhein/Ruhrgebiet fanden Massendeportationen statt, die der Historiker Michael Zimmermann am Beispiel der Transporte aus Essen detailliert dargestellt hat. Um die Essener Juden am 21. und 25. Juli 1942 in den Tod zu schicken, stimmten sich die Reichsbahndirektionen Köln, Wuppertal, Kassel, Frankfurt am Main, Erfurt und Dresden ab. Die Schleusung der "Sonderzüge" fand an helllichtem Tage und unter den Augen des zufällig anwesenden Bahnpublikums statt. Teilweise wurden Deportationswagen üblichen Reisezügen angehängt, um die Deportierten an Knotenpunkte der Reichsbahn-Logistik zu bringen.
In eine Reihe dieser Bahnhöfe des heutigen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen wird der "Zug der Erinnerung" im kommenden Februar einfahren und einen Beitrag leisten, um mit seiner Ausstellung den vergessenen Opfern ihre Gesichter und ihre Würde wiederzugeben.
TÜBINGEN/ MÜHLACKER - Die Umstände der Deportationen lösen im "Zug der Erinnerung" trotz zurückhaltender Darstellung starke Reaktionen aus. So auch in Tübingen und Mühlacker, den vorerst letzten Stationen in Baden-Württemberg. In den Gästebüchern, die am Ende der Ausstellung ausliegen, fragen Besucher immer wieder, wie es geschehen konnte, daß die Verantwortlichen nach der Befreiung in hohe Positionen zurückkehrten. Im letzten Zugteil, der für Recherchen und Gespräche reserviert ist, stehen regelmäßig Diskussionsgruppen. Die Ausstellung findet enormen Zuspruch. Über 2.300 Besucher wurden in Tübingen an zweieinhalb Tagen gezählt; in Mühlacker, einem früheren Wohnort deportierter Sinti und Roma, waren es über 1.000. Dort konnte der Zug lediglich 7 Stunden halten. Nächste Station ist Kaiserslautern.
BERLIN - Weil das Berliner Verkehrsministerium dem Gedenken im "Zug der Erinnerung" jegliche finanzielle Unterstützung verweigert, haben sich die Organisatoren an den Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestags gewandt. "Der 'Zug der Erinnerung' ist binnen weniger Tage von mehr als 20.000 Bürgerinnen und Bürgern besucht worden, vor allem von Jugendlichen", heißt es in dem Schreiben. "Das Echo ist überwältigend (...) Inzwischen treffen bei uns dutzende Einladungen aus immer mehr Städten ein. Wir werden aufgefordert, das ungewöhnliche Gedenken unbedingt fortzusetzen. Nötig ist eine Verdoppelung der Fahrstrecke und eine Ausweitung der Fahrzeit bis in den Mai 2008." Die Organisatoren regen eine parlamentarische Initiative an, um die notwendigen Mittel bereitzustellen, nachdem sowohl Bahn AG als auch Verkehrsministerium keinen Cent gewähren wollen. Benötigt werden 300 Tausend Euro. mehr
STUTTGART - An Gleis 1a des Stuttgarter Hauptbahnhofs wird an diesem Wochenende der fünfzehntausendste Besucher im "Zug der Erinnerung" erwartet. (Fahrplan) Dies teilen die pädagogischen Begleiter der Zugmannschaft mit. Bereits bei der Ankunft am Donnerstag versammelten sich mehrere hundert Menschen. Nachzügler mussten auf einen Nachbarbahnsteig ausweichen, da 1a für den Ansturm zu klein war.
In seiner Eröffnungsrede sagte Wolfgang Brach, DGB-Vorsitzender der Stuttgarter Region, er erwarte vom zuständigen Bundesminister Unterstützung für den "Zug der Erinnerung". Damit spielte Brach auf ein kürzliches Schreiben von Wolfgang Tiefensee (SPD) an, in dem jegliche Hilfe verweigert wird. "Wir werden unsere politischen Kanäle nutzen", kündigte der Regionsvorsitzende vor zahlreichen Pressevertretern und in Gegenwart des Stuttgarter Bürgermeisters Dr. Martin Schairer an. Nach dessen Grußworten und einer Ansprache des evangelischen Dekans ging der Leiter des Stuttgarter Stadtarchivs, Dr. Roland Müller, ausführlich auf die regionale Deportationsgeschichte ein. Müller hatte bereits 1988 ein Standardwerk vorgelegt (Roland Müller: Stuttgart zur Zeit des Nationalsozialismus), das die lokale Faschisierung beleuchtet. Das Stadtarchiv ist während der Ausstellung mit einem Mitarbeiter präsent, der im Zug Rechercheanleitungen gibt und Fragen beantwortet. Insbesondere Jugendliche zeigen großes Interessse. "Es ist faszinierend, wie sie sich in die Lebenszeugnisse der Gleichaltrigen einfühlen, die damals deportiert worden sind", sagt Wolfgang Brach über seine ersten Beobachtungen auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof.
ETTLINGEN/VAIHINGEN - Ebenfalls überfüllt war der Bahnhof Ettlingen-Stadt, als der "Zug der Erinnerung" am vergangenen Mittwoch einlief. Dort begrüßte Bürgermeisterin Petzold-Schick den Zug, in dem sich die Ettlinger während des kurzen Aufenthalts drängten. Wie bereits an anderen Haltepunkten fragten Besucher immer wieder, ob Presseinformation zutreffen, wonach für den "Zug der Erinnerung" Trassengebühren an die Bahn AG zu zahlen seien. Die Bestätigung löste Unglauben aus und motivierte viele Gäste zu Spenden.
KARLSRUHE - Nach einem viertägigen Aufenthalt in Mannheim ist der "Zug der Erinnerung" in Karlsruhe eingetroffen (Fahrplan). Dort steht er seit Sonntag auf Gleis 101/102 des Karlsruher Hauptbahnhofs bereit. "Hinter uns liegen sehr anstrengende Tage", sagt Hans Helmut Schlicht, einer der pädagogischen Begleiter des Zuges. "In Mannheim kamen Tag für Tag zwischen 700 und 800 Besucher, mit deren Fragen und mit deren Erschütterung wir umzugehen hatten. Diese Aufgabe ist nicht leicht und sie stellt sich in Karlsruhe neu." mehr
MANNHEIM - Sechs Tage nach dem Start ist der "Zug der Erinnerung" in Mannheim eingetroffen. (Fahrplan) Damit erreicht die Ausstellung über die Deportationen der Kinder und Jugendlichen die dritte Station des Gedenkens, nachdem es in Darmstadt zu einem kaum bewältigbaren Besucherinteresse gekommen ist. Weit über 2.000 Gäste fanden sich auf dem Hauptbahnhof ein und warteten trotz zeitweiliger Überfüllung der engen Waggons auf Einlaß. mehr
DARMSTADT - Lange Warteschlangen mit Besuchern jeden Alters standen am Wochenende auf dem Darmstädter Hauptbahnhof, um die Ausstellung im "Zug der Erinnerung" zu begutachten. "Das Interesse ist überwältigend", sagt Thomas Barth, pädagogischer Begleiter im Zug, "ebenso überwältigend sind die emotionalen Reaktionen." Bereits beim Start des Zuges in Frankfurt a.M. waren Jugendliche, aber auch ältere Menschen, von den Lebensgeschichten der Kinder und Jugendlichen sichtbar angerührt worden. Diese emotionale Zwiesprache zwischen den Besuchern und den Fotos, den Briefen und den Archivzeugnissen der Deportierten hält auch in Darmstadt an.
Der Darmstädter Zugaufenthalt begann mit einer Begrüßung durch den Oberbürgermeister Walter Hoffmann. „Es ist das große Verdienst der Ausstellung, dass endlich jene Beachtung finden, die sich am wenigsten wehren konnten", sagte der OB, der an die Deportationen des Jahres 1943 erinnerte. Damals waren zwischen März und September über 3000 Menschen vom Darmstädter Güterbahnhof in die Vernichtungslager verschleppt worden, darunter viele Sinti- und Roma-Familien aus dem ehemaligen "Volksstaat Hessen". Für die Ehrung der Deportierten setzt sich seit Jahren die Initiative Gedenkort Güterbahnhof Darmstadt ein. Den Aktivitäten der Initiative ist ein Mahnmal zu verdanken, das wiederholt geschändet worden ist. Peter Schmidt, Sprecher der Initiative, berichtete, daß sich mehr als 50 Schulklassen für einen Besuch im "Zug der Erinnerung" angesagt hätten - ein kaum zu bewältigender Andrang. Wurden am Samstag etwa 450 Besucher gezählt, so waren es am Sonntag bereits weit über 500.
FRANKFURT - Nach einer bewegenden Zeremonie auf Gleis 1a des Frankfurter Hauptbahnhofs ist der "Zug der Erinnerung" am 9. November zu einer 3000 Kilometer langen Fahrt durch die Städte der früheren Reichsbahn-Deportationen aufgebrochen.
Das ungewöhnliche Gedenken an die deportierten Kinder und Jugendlichen war mit einer bewegenden Zeremonie eröffnet worden, in deren Mittelpunkt zwei Überlebende des Massenmordes standen.
Trude Simonsohn, die als 21-Jährige in das Ghetto Theresienstadt und dann in das KZ Auschwitz verschleppt wurde, erinnerte an die Ausgangsorte der Deportationen, bei denen es sich meist um Bahnhöfe handelte. Daß die Vernichtung, die dort ihren Anfang nahm, von den heutigen Wiedergängern der Nazis öffentlich geleugnet oder sogar gerechtfertigt werden kann, bezeichnete Frau Simonsohn als empörend. mehr