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Zug der Erinnerung
Ein Projekt deutscher Bürgerinitiativen

In Kooperation mit:

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Baden-Württemberg

Cover: searching for traces

Aktuell-Beiträge von Januar und Februar 2009

Zukunft ohne Vergangenheit

Die Bundesregierung zahlt Millionen für einen Sonderzug der Industrie/ Keinen Cent für den "Zug der Erinnerung"

Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan,
präsentiert einen von 12 Waggons der "Expedition Zukunft".

Foto: Oliver Wia

BERLIN/DRESDEN - Aus Anlass des 60jährigen Bestehens der Bundesrepublik Deutschland läßt die Bundesregierung in diesem Frühjahr einen 300 Meter langen Ausstellungszug durch 60 Städte fahren. Das Millionenprojekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert. Der lukrative Umbau von insgesamt 12 Ausstellungswaggons findet zur Zeit auf dem Schienengelände der Deutschen Bahn AG in Berlin-Grunewald statt. Als "Zugpartner" beteiligt sind die Firmen Siemens, Bayer, BASF und Volkswagen. Gemeinsam mit der Bundesregierung wollen sie auf den Bahnhöfen "für gut dotierte Arbeitsplätze in vielen Wirtschaftsunternehmen" werben. Das hypertrophe Personalbüro, das auf Steuerkosten durch Deutschland fahren wird, verbrämt seine Absichten mit einem hochtrabenden Namen: "Expedition Zukunft"

Auch der "Zug der Erinnerung" ist in diesem Frühjahr auf dem deutschen Schienennetz unterwegs - allerdings unterstützt ihn weder die Bundesregierung noch die deutsche Industrie. Im Gegenteil. Auf dem Umweg über die DB AG kassierte das Finanzministerium für den Zug der Erinnerung" bisher 112 Tausend Euro Trassen- und Stationsgebühren. Die jngsten Versuche, diese Summe wenigstens im gerade verabschiedeten Nachtragshaushalt unterzubringen (der ein Volumen von 50 Milliarden Euro hat) scheiterten trotz zahlreicher Interventionen aus dem Bundestag am vergangenen Freitag. Man habe "keinen geeigneten Haushaltstitel" gefunden, um das eingezogene Geld an die Bürgerinitiative zurück zu erstatten, heißt es bei den Regierungsparteien. Seit über zwei Jahren wnschen sie der Erinnerung an die deportierten Kinder und Jugendlichen "viel Erfolg", aber belassen es bei wohlfeilen Worten. Wohin diese Politik verbaler Unverbindlichkeiten und müder Rituale fhrt, zeigt der Neo-Nazi-Aufmarsch in Dresden.

Trotz fehlender staatlicher Unterstützung und einem faktischen Boykott der DB AG wird der "Zug der Erinnerung" ab 2. März erneut durch Deutschland fahren (Fahrplan). Die ehrenamtlichen Mitarbeiter und Förderer des Vereins arbeiten mit Hochdruck an der Fertigstellung der Ausstellungswagen. Mit den Mitteln der Bundesregierung können es diese Anstrengungen nicht aufnehmen: Statt über 12 Waggons für die deutsche Industrie, die 300 Meter beanspruchen, verfügt der "Zug der Erinnerung" nur über 2-3 Wagen. Er passt an jedes Regionalgleis. Zum Gedenken an über eine Million deportierter und ermordeter Kinder, die u.a. für Siemens und die Bayer-Vorläufer ihr Leben hingaben (Geisterzug nach Buchenwald), ist das nicht viel. Jedoch ist es mehr als die offizielle Vergesslichkeit, die sich "Expedition Zukunft" nennt und über Millionen verfügt.


"Die Kinder von Zamość"

Rundreise der polnischen Deportierten gegen Nationalimus und Slawophobie

Die polnischen Gäste in St. Wendel (Saarland)

SAARBRÜCKEN - Auf Einladung der Vereine Zug der Erinnerung und DenkmalMit! sind zwei ehemalige Deportierte aus Polen in Deutschland zu Gast und haben in dieser Woche eine Rundreise begonnen. Sie werden in mehreren Städten über die Aktion Zamość berichten, die in der Nacht vom 27. auf den 28. November 1942 begann.

Der damals 10 jährige Zenon Bujanowski und der 4jährige Adam Bielak erlebten die gewaltsame Evakuierung einer ganzen polnischen Region durch Ordnungspolizei und SS, unterstützt durch die örtlichen Garnisonen der Luftwaffe und der Wehrmacht. 300 Dörfer wurden in Zamsoc innerhalb krzester Zeit gewaltsam geräumt. Tausende kamen bei Massakern ums Leben, Tausende starben in den Lagern, die Überlebenden deportierte die Deutsche Reichsbahn zur Zwangsarbeit nach Westen. In den geräumten Gebieten wurden polnische Deutschst�mige und vor allem Volksdeutsche angesiedelt.

Zenon Bujanowski und Adam Bielak sind mit weiteren Überlebende in der Vereinigung der Kinder von Zamość zusammengeschlossen. Sie berichten über ihr Schicksal und machen Mut die eingerissenen Brücken zwischen Deutschland und Polen neue aufzubauen. Untersttzt werden sie dabei von der Stiftung Deutsch Polnische Aussöhnung.

Am Donnerstag, 12. Februar, treffen die Gäste im Adolf-Bender-Zentrum (Nohfelden/Saarland) eine Projektgruppe Jugendlicher, am Freitag diskutieren sie in der Realschule Nalbach und am Samstag ist eine Begegnung im Deutsch- Französischen Gymnasium (DFG) Saarbrücken geplant. Die Rundreise wird in Dormagen und Dortmund fortgesetzt.

Da sich in diesem Jahr der Überfall auf Polen zum 70. Mal jährt, "kommt der Begegnung eine besondere Bedeutung zu", schreiben die Veranstalter. Ihre Auseinandersetzung mit den rassistischen Verbrechen des NS-Regimes gilt auch der slawophoben Grundhaltung, die Polen zu "Untermenschen" degradierte und in Deutschland noch immer nicht berwunden ist.


Stafette des Gedenkens durch die Bahnhöfe der Deportationen

Zuglaufplan fhrt durch NRW, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Bayern und Hessen

Fährt erneut über tausende Kilometer durch
Deutschland: Der Zug der Erinnerung

BONN/BERLIN - Von Anfang März bis Juni 2009 wird der "Zug der Erinnerung" auf seiner neuen Etappe durch über 20 Städte fahren. In Koordination mit den lokalen Trägerkreisen veröffentlicht die Bürgerinitiative jetzt einen tagesgenauen Ablaufplan. Demnach steht die Ausstellung an den Haltebahnhöfen in der Regel jeweils drei Tage zur Verfügung und ist zwischen 8.00 und 19.00 Uhr geöffnet. Mehrere pädagogische Zugbegleiter empfangen Schulklassen und Besuchergruppen. Die Stationsaufenthalte werden von einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm umrahmt. Beispielhaft sind die Ankündigungen des Bonner Trägerkreises, der Filmvorfhrungen, Stadtrundgänge und Meetings zur Regionalgeschichte vorsieht (Veranstaltungsflyer mit sämtlichen Terminen). Auch in Koblenz und Mainz wird an Veranstaltungsprogrammen gearbeitet. In Konstanz, Laupheim und Biberach haben Trägerkreise mit den Vorbereitungen begonnen. Die Offenburger Veranstalter, ein breiter Zusammenschluss kommunaler und zivilgesellschaftlicher Organisationen, planen u.a. eine Gedenkveranstaltung für vier französische Widerstandskämpfer, die 1944 in Offenburg ermordet wurden. Gäste aus dem In- und Ausland werden erwartet. Über die Aktivitäten auf den Stationen der neuen Route und Details zur örtlichen Deportationsgeschichte berichten wir fortlaufend.

Bonn: 2. März bis 5. März. Flyer Bonn
Koblenz: 6. März bis 8. März www.mahnmalkoblenz.de

Sörtliche Stationen unter Fahrplan


Nichts gewußt und nichts gesehen...

Die "Reichsbahn"-Deportationen und die deutsche Gegenwart

Mit der "Reichsbahn" in die Vernichtung. Deportation aus
Bielefeld, Dezember 1941

OSWIECIM/ HERFORD - Am Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz (27. Januar) fanden weltweit Gedenkveranstaltungen statt. In Herford (bei Bielefeld) lud das "Kuratorium für eine Dokumentations- und Begegnungsstätte zum Erinnern, Forschen und Gedenken" die öffentlichkeit ein. Miriam S�ing, Kuratoriumsmitglied der Herforder Initiative, hielt ein Impulsreferat, aus dem wir Auszüge veröffentlichen:

"Heute vor 64 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Wir nehmen diesen Tag zum Anlass, um der Opfer der Shoah zu gedenken. Der Name Auschwitz steht für einen Zivilisationsbruch, der bis heute kaum erklärbar ist. In der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur von 1933 bis 1945 verantworteten die Entscheidungsträger und Funktionähe der Deutschen Reichsbahn, die dem Reichsverkehrministerium unterstellt war, den Transport von mehreren Millionen Menschen in westeuropäische Durchgangslager und osteuropäische Ghettos, in Konzentrations- und Vernichtungslager, zu den Mordstätten in der Nähe der lettischen Hauptstadt Riga oder nach Minsk/Weißrussland. Schätzungen zufolge wurden allein zwischen 1941 und 1945 etwa drei Millionen Menschen mit Zügen der Deutschen Reichsbahn in den Tod geschickt. (...)

Der Transport erfolgte anfangs in Güter- oder Personenwagen, schließlich sogar in Viehwaggons. In einem besser ausgestatteten Personenwagen war das Begleitpersonal untergebracht, meist Angehörige der Ordnungspolizei. Die Deportationszüge waren zum Teil in den alltäglichen Personenverkehr integriert. Eingepferchte Männer, Frauen und Kinder litten unter ständigem Hunger und Durst und mussten in den Wintermonaten ohne Beheizung ausharren. Überlebende berichteten immer wieder, dass gerade der Durst nach tagelangen Fahrten zu den quälendsten Erinnerungen zählte. In ihrer Verzweiflung sollen Mtter ihre kleineren Kinder aus dem Zug geworfen haben, in der Hoffnung dass sie überleben. Transporte für die Wehrmachtstruppen an der Front hatten jederzeit Vorrang, aus diesem Grund konnte es geschehen, dass Züge mitten auf der Strecke oder auf einem Nebengleis auf die Weiterfahrt warten mussten. Um eine möglichst optimale Auslastung der Züge zu gewährleisten, brachten sie bei der Rckfahrt aus Auschwitz Kleidung oder Wertgegenstände der Inhaftierten und Ermordeten nach Deutschland, wo sie an die ausgebombte Bevölkerung verteilt wurden. Es existierten zudem SS-Eisenbahnbaubrigaden ('KZ auf Schienen'), in denen ab 1944 KZ-Häftlinge unterkamen, um nach Bombenangriffen zerstörte Gleisanlagen auszubessern, wobei die Wiederherstellung der Schienenwege in der Verantwortung der Reichsbahn lag. (...)

Während die Sowjetische Besatzungszone und spätere DDR die Bezeichnung Deutsche Reichsbahn nach dem Ende des Krieges beibehielt, wurde sie 1949 in der Bundesrepublik Deutschland in Deutsche Bundesbahn umbenannt. Kontinuitäten im Personal sind hier ebenso wie in vielen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens im Deutschland der Nachkriegszeit nicht ungewöhnlich. 1964 fand vor dem Schwurgericht in Dsseldorf der 'Treblinka-Prozess' statt, in dem die Bundesbahnbeamten/innen als Zeugen/innen genauso wie die Angeklagten die gleiche Strategie wählten: von nichts gewusst und nichts gesehen zu haben, und das, obwohl nur mit Wissen und tägiger Unterstützung der Angestellten der Reichsbahn der reibungslose Ablauf der 'Judendeportationen' möglich gewesen war."

Über die Auseinandersetzung um das heutige Gedenken an die NS-Deportationen mit der "Reichsbahn" und deren Nachfolgeorganisation (DB AG) sagte Frau S�ing:

"Mit zahlreichen Zwangsmaßnahmen, gewaltsamen Räumungen durch Bahn- und Polizeikräfte sowie mit Aufenthalts- und Redeverboten reagierte die Konzernleitung der Bahn AG am Auschwitz-Gedenktag 2007 auf die bundesweiten Informationsveranstaltungen über das Deportationsschicksal von 3 Millionen NS-Opfern. Wie aus Halle berichtet wurde, forderte das lokale Bahnmanagement die bereitstehenden Polizeikräfte auf, 'mit allen Mitteln' gegen das Gedenken vorzugehen. Auf den Bahnhöfen Würzburg und Schweinfurt wurde den Veranstaltern untersagt, sich mit Redebeiträgen an die Reisenden zu wenden. In Göttingen rissen Bahnbedienstete Fotos und Dokumente der 11.000 deportierten jüdischen Kinder von einer provisorischen Ausstellungswand im dortigen Hauptbahnhof. In Frankfurt a. M. griff das lokale Bahnmanagement Mitglieder einer Bürgerinitiative an, die in den Zügen Informationsmaterial an die Reisenden verteilen wollten. Die Repressionsmaßnahmen waren von der Berliner Konzernzentrale angeordnet worden. In Berlin drohte sie, den Berliner Hauptbahnhof zu räumen, sollte es dort zu einer Pressekonferenz mit anschließender Informationsveranstaltung kommen. Auch bei der Ausstellung 'Zug der Erinnerung', die 2008 durch Deutschland rollte, zeigte die Deutsche Bahn wenig Unterstützungsbereitschaft. (...) Dem Projekt wurde von der 'Deutschen Bahn' der Aufenthalt in einem Bahnhof mit bis zu 45 Euro pro Stunde in Rechnung gestellt und dies, nachdem die Deutsche Reichsbahn so viel an den täglichen Transporten verdient hat. (...) Die 'Deutsche Bahn' ist laut eigener Aussage dazu verpflichtet, alle Unternehmen, die Schienen und Bahnhöfe nutzen, gleich zu behandeln. Es sei also rechtswidrig für den 'Zug der Erinnerung' die Bahngebühren zu erlassen. Der Vorstoß einiger Verkehrspolitiker des Bundestages, die Gebühren für den 'Zug der Erinnerung' zu kassieren und als Spende wieder zurückzugeben, wurde von der 'Deutschen Bahn' allerdings erfolgreich ignoriert. Wir fordern Herrn Mehdorn auf, Gedenkveranstaltungen und das Anbringen von Informationstafeln in den betreffenden Bahnhöfen nicht länger zu behindern."


"Ich jubelte nicht..."

Sechs verlorene Jugendjahre in den Lagern der Nazis

Helmut Steinitz als 17-Jähriger nach seiner
Befreiung 1945.

TEL AVIV - Ende Januar 1945 ist der SS-Gefangene Helmut (Zwi) Steinitz 17 Jahre alt, als er aus dem Todeslager Buchenwald zur Zwangsarbeit nach Berlin befohlen wird. Hinter Helmut liegen Leidensstationen im Krakauer Ghetto, im KZ-Lager Plaschow und in Auschwitz (Als Junge durch die Hölle der Deportationen). Wie Zehntausende andere KZ-Häftlinge wurde der Sohn einer jüdischen Familie aus Posen von Lager zu Lager deportiert, um in den Außenstellen der deutschen Rstungsindustrie Nachschub für den Krieg zu produzieren. Die letzten Kriegsmonate erlebt Helmut in Berlin, wo er in den Siemens-Werken arbeitet.

"Wir kamen in ein kleines Barackenlager, das im Stadtteil Haselhorst lag und von der SS bewacht wurde. Die Versorgung erinnerte hier an Buchenwald: Eine Suppe aus Kohlrben, dazu eine Schnitte trockenes Brot. Der Hunger wurde unertröglich. Wir KZler waren bei Siemens für die Nachtschicht eingeteilt und mussten - in der Sträflingskleidung, nur mit Holzpantinen an den Füssen - zwei Mal täglich den langen Weg vom Barackenlager zum Siemens-Komplex laufen. Häuser, die Abends noch halbwegs intakt waren, konnten nach Ende der Nachtschicht bereits in Staub und Asche liegen. Zwischen qualmenden Ruinen standen noch unversehrte Industriehallen, am nächsten Tag waren auch sie nur noch ein Trmmerfeld. Unter diesen Umständen war die Produktion nicht aufrecht zu erhalten. Hinzu kam, daß jetzt auch unser Barackenlager Bombentreffer abbekam. Die Räumung war unvermeidlich. Aber wohin?

Sachsenhausen

Man trieb uns erst zu Fuss durch die Stadt und dann auf die Berliner Bahngleise, wo wir mit dem Zug über den Bahnhof Oranienburg in das KZ Sachensenhausen transportiert wurden. In Sachsenhausen herrschten Zustände wie in den 'traditionellen' KZ. Vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag mussten wir an Verteidigungsstellungen im Großraum Berlin schuften: Bei jedem Wetter Schtzengräben ausheben, um die vorrückenden Truppen der Roten Armee aufzuhalten. Der Boden war hart gefroren, verlangte gesunde Arbeitskräfte und nicht von Hunger geschwächte Menschen. Doch die SS-Aufseher gönnten uns keine Ruhepause. 10 Stunden ununterbrochen zu graben, konnte ich einfach nicht durchhalten. Ich beobachtete die deutschen Posten und stellte fest, daß ich ihrer Kontrolle entging, sobald sie andere Häftlinge prgelten. Dabei durfte man die fanatischen Schläger keinen Augenblick aus den Augen lassen. Dieser Typ deutscher Nazis glaubte wohl immer noch, den Fall der Hauptstadt zu verhindern. Waren sie denn völlig wirklichkeitsblind, selbst wenige Wochen vor dem Zusammenbruch ihres 'Reiches' noch vom 'Endsieg' berzeugt?

Die Trümmer und das Leid der deutschen Bevölkerung konnten weder die Ströme jüdischen Blutes vergessen lassen noch ihre Schuld an den schrecklichen Verbrechen sühnen. Hatte ich einen Grund, den Deutschen zu verzeihen, ihre Deportationen mit der "Reichsbahn" durch halb Europa zu vergessen? Bei den Schanzarbeiten am Rande Berlins wurde ich Zeuge deutscher Selbstzerstörung. Schadenfreude habe ich nicht gefühlt. Deutschland blutete. Der Anblick der brennenden Hauptstadt bot keinen Trost, denn das Geschehene war nicht rückgängig zu machen. Doch erwachte dabei ein Hoffnungsschimmer: diese Hölle berstehen zu können.

Befreiung

Was mich damals am Leben hielt, ausgehungert und mit meinen Kräften am Ende, kann ich heute nicht mit Sicherheit sagen. Im Alter 12 Jahren war ich zum ersten Mal verhaftet worden und seitdem durch die Hölle der Massenvernichtung gegangen. Die ganze Zeit begleitete mich das Vorbild meiner Eltern, meiner Vaters und meiner Mutter, das mir in meiner Not vor Augen stand, und mich nicht vergessen liess, Mensch zu bleiben.

Als die Befreiung kam, nach einem Todesmarsch in Richtung Schwerin, jubelte ich nicht. Wir Überlebenden waren mutterseelenallein, obdachlos in Feindesland und vor einer ungewissen Zukunft. Fast sechs verlorene Jahre lagen hinter mir, und diese verlorene Jugendjahre waren nicht zu ersetzen, niemals."

Lesen Sie auch: Geisterzug nach Buchenwald und "Berlin stand in Flammen"


Deutsche Bahn AG setzt Bepreisung des Gedenkens fort

Der Konzern erhebt Rechnungen für die Ehrung der Opfer deutscher Massenpogrome

Fr das Gedenken auf dem früheren Deportationsbahnhof Oranienburg
(bei Berlin) kassiert die Deutsche Bahn AG Gebühren. Auf dem Foto
sitzend: Überlebende, die mit dem Bahn-Vorgänger "Deutsche Reichs-
bahn" in die NS-Lager verschleppt wurden (9. November 2008).

BERLIN - Die Deutsche Bahn AG verlangt von der Bürgerinitiative "Zug der Erinnerung" erneut Gelder für das Gedenken an die Opfer der NS-Deportationen. Entsprechende Rechnungen liegen jetzt vor. Demnach müssen für eine kürzliche Gedenkfeier, die wegen der Pogrome vom November 1938 auf dem Deportationsbahnhof Oranienburg stattfand, je Stunde 45,00 Euro bezahlt werden (Die Einsamkeit der Überlebenden durchbrechen...). Weil der "Zug der Erinnerung" bei seiner Fahrt nach Oranienburg außerdem das öffentliche Schienennetz in Anspruch nahm, werden von der Bürgerinitiative zusätzlich rund 2.000,00 Euro verlangt. Auf dieser Strecke nach Oranienburg kassierte die frühere "Reichsbahn" ebenfalls Gelder, die sie den Deportierten abnahm. Überlebende erinnern sich, wie sie über die "Reichsbahn"-Gleise und den Bahnhof Oranienburg in das nahe gelegene KZ Sachsenhausen verschleppt wurden ("Berlin stand in Flammen").

Mit der erneuten Bepreisung des Gedenkens an die Opfer der "Reichsbahn"-Mordbeihilfe kndigt der Nachfolgekonzern Deutsche Bahn AG die Fortsetzung des jetzt seit 3 Jahren währenden Boykotts gegen den "Zug der Erinnerung" an. Die Unternehmensspitze unter dem früheren Wirtschaftsminister Werner Mller, dem Bahn-Vorsitzenden Hartmut Mehdorn und dem Bahn-Beauftragten für Wirtschaft und Politik, Otto Wiesheu stellte der Bürgerinitiative bisher über 100.000,00 Euro in Rechnung. Trotz bundesweiten und internationalen Protesten weigern sich die Konzernchefs, diese aus Spendengeldern angeeigneten Zahlungen zurück zu erstatten oder dem Verein auf andere Weise zuzuführen (http://zug-der-erinnerung.eu/appelle.html).

Wie eine Berechnung der kommenden Zugstrecke ergibt (Fahrt des Gedenkens durch 21 Städte in fünf Bundesländern), stehen auch 2009 Forderungen der Bahn AG in Höhe von annähernd 100.000,00 Euro an. Der Großteil sämtlicher Rechnungen gilt der Ehrung der Opfer: Sobald die ersten Besucher den "Zug der Erinnerung" betreten, tickt die Kassenuhr des Unternehmens, das sich bei abendlicher Schliessung der Ausstellung rund 500,00 Euro gut schreibt - Tag für Tag und berall dort, wo die Deportierten ihren Leidensweg mit dem Vorgängerkonzern antreten mussten.


Die Züge fuhren ungehindert durch unser Land. Warum verhinderte keiner ihre Fahrt?

Warum erhoben sich in keiner Stadt die Einwohner, um die zu schzen, die noch vor kurzem ihre Nachbarn gewesen waren?

Vor einer Karte mit den "Reichsbahn"-Strecken nach
Auschwitz informiert ein pädagogischer Mitarbeiter der
Bürgerinitiative über die deutschen Massenverbrechen.
Foto: Arne List © GNU

BERLIN - Ingrid Bachér blickte im ersten Teil ihres Textes über den "Zug der Erinnerung" auf Fotografien der Opfer, denen in der Zug-Ausstellung Namen und Gesichter wieder gegeben werden (Sie könnten unsere Verwandten sein, wir hätten sie geliebt...). Im zweiten Teil beschäftigt sich die Autorin auch mit den Tätern und ihren heimlichen Komplizen - der gehorsamen Mehrheit, die nicht hinsehen wollte, als die Deportationen begannen:

"Der Zug riecht nach altem Holz, solche Züge verkehren schon lange nicht mehr. Von einer Dampflokomotive hergezogen, steht er auf einem Abstellgleis, weil die Deutsche Bahn keinen anderen Ort als diesen abgelegenen dem „Zug der Erinnerung“ zur Verfügung stellen mochte. Bezahlt muss trotzdem werden. Da nimmt sich Herr Mehdorn die Reichsbahn zum Vorbild, ohne die das Morden nicht so reibungslos gelaufen wäre. Damals hatte sie sich korrekt nach Tarif den Abtransport der Millionen Menschen in die Lager bezahlen lassen, Kinder nur die Hälfte. Diesmal berechnen sie – da keine Menschen zu transportieren sind - ansehnliche Gebühren für Benutzung und Aufenthalt auf den Gleisen von den privaten Initiatoren des Zuges.

Weitergehend höre ich aus den Lautsprechern Berichte von Üüberlebenden, nie mehr zu trösten von uns. Und dann fast am Ende des Zuges: ein Bildschirm. Eine Sendung läuft, die schon einige Jahre alt sein muss. Nur das Gesicht des Mannes, der interviewt wird, ist zu sehen. Er war für den reibungslosen Ablauf der Transporte in die KZs verantwortlich. Gewohnte Selbstsicherheit. Er fühlt sich unschuldig, will nicht gewusst haben, was mit denen geschah, die er in die Lager transportieren ließ. Und er hatte sich keine Gedanken darüber zu machen, warum die Züge immer leer zurückkamen. Er musste nur Aufgaben, die ihm gestellt wurden, zur Zufriedenheit erledigen. Ein Mensch, den nichts Fremdes berührt, der alles Unwägbare negiert, wie entkernt von allen Empfindungen, die ihn verantwortlich machen könnten für das, was er bewirkt. Es erscheint mir, als käme er aus einer anderen Welt als all jene, deren Bilder ich zuvor sah – und doch ist er mit ihnen nah verbunden gewesen, war zeitweise für sie verantwortlich. Auch später nach dem Ende des Tausendjährigen Reiches, akzeptiert von der Gesellschaft, die ihm vertraute, organisierte er weiter, diesmal die Züge für die Gastarbeiter.

Mein Entsetzen nun ist von anderer Art als das, was mich zuvor so traurig erfasste, hier weckt es Empörung. An seinen Reaktionen, immer wieder erneut gezeigt, kann ich ermessen, wie es war, wenn jene, deren Fotos ich zuvor sah, auf einen Menschen wie diesen trafen, gnadenlos tätig und unbeteiligt gehorsam. „Soldatentum als Lebensform“ nannte dies der Hochschulprofessor Alfred Baeumler, der zum Auftakt der Bücherverbrennung in Berlin am 10.Mai 1933 in der Universität sprach und dort stolz verkündete: „Wir sind nicht human.“

Die Züge fuhren ungehindert durch unser Land. Warum verhinderte keiner ihre Fahrt? Warum erhoben sich in keiner Stadt die Einwohner, um die zu schützen, die noch vor kurzem ihre Nachbarn gewesen waren? Kein Aufstand, auch nicht im Namen des Glaubens: „Du sollst nicht töten.“ Und würden wir sie heute schützen? Wir, die nicht unähnlich unseren Vorfahren sind, oft im voreiligen Gehorsam, aus Bequemlichkeit, Zwang oder Not uns anpassen und vergessen, was uns verbindet mit jenen, die ausgeschlossen werden. Würden wir uns nicht der Macht eines Staates fügen, wenn es gelte, uns selber nicht zu gefährden? Leiden gilt als Versagen und die Vernunft ist korrumpierbar von der Macht, ihr unterwürfig. Auch wir werden eingefangen von behaupteten Notwendigkeiten, denen wir uns unterordnen sollen, und sind gewöhnt, uns einzugrenzen in die Vorstellung vom Machbaren. Obwohl wir doch wissen, es gibt Unendliches jenseits der Vernunft und wir haben Teil daran und sind schon deswegen verbunden mit dem Leben der anderen.

Ich wende mich zurück, wieder sehen die Menschen aus den Fotos mich an, unbeweglich ihre Gesichter. Sie haben den Tod überwunden, sind nicht mehr zu töten. Wir suchen ihre Blicke, damit unsere Herzen nicht versteinern. Ich weiche einer Gruppe junger Leute aus, die nun in diesen letzten Abschnitt des Wagens kommt, bevor ich hinter dem auf dem Bildschirm noch immer redenden Mann, der wieder und wieder erzählt, wie die Transporte abgewickelt wurden, den dunklen Vorhang zur Seite schieben kann, um zum Ausgang zu kommen. Die Jungen sind still, hören achtsam zu ohne Regung. Einer dreht sich nach mir um und sieht mich an mit einem Blick, als überlege er, zu wem ich gehöre. Das Tonband mit dem Rattern des Zuges setzt für einen Augenblick aus und beginnt wieder. Ich steige aus dem Zug aus und bin doch lange noch in ihm gefangen."


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